Alle Macht für Chirac

Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.07.2002

Von Ladislas Soler

„Chirac ist wie Dschingis Khan“, sagt ein ehemaliger liberaler Minister, „er will alle Macht für sich.“ In der Tat verfügt der französische Staatspräsident Jacques Chirac über eine überwältigende Mehrheit im Parlament und hat Getreue an Schlüsselpositionen des Staates gesetzt.

Alain Juppé, 1995 von Jacques Chirac zum Premierminister ernannt, hat die Führung der „Union für die Präsidenten-Mehrheit“ (UMP), den aus dem Elysee-Palast gesteuerte Wahlverein der konservativen Kräfte, übernommen.

Jean-Louis Debré gewann letzte Woche den Sitz des Parlamentspräsidenten gegen Edouard Balladur, der 1995 als Widersacher Chiracs ebenfalls für die bürgerliche Rechte kandidierte. Somit sichert sich Jacques Chirac die nötigen Hebel für seine Politik im Parlament.

Regierungsapparat in Chiracs Hand

Auch in der Regierung streute er Leute, die zwar der Öffentlichkeit wenig bekannt sind, die aber die Gründung der UMP erst möglich machten.

Wichtiger Akteur dabei war der politische Klub „Dialogue et initiative“. Er wurde auf Anregung des Premierministers Jean-Pierre Raffarin und des vor zwei Wochen ernannten Justizministers Dominique Perben, zu einem wichtigen Diskussionsforum. Dort kamen die Gaullisten und die anderen Splitter der bürgerlichen Rechte über Form und Inhalt eines Wahlbündnisses ins Gespräch.

Beide Politiker gehörten, wie auch viele Mitglieder der neuen Regierung, zur „Union in Bewegung“ (UEM), dem Vorgänger der UMP: Roseline Bachelot leitet nun das Ministerium für Ökologie, René Dutreil, der Mitbegründer der UEM, wurde Staatssekretär im Finanzministerium und Dominique Bussereau im Verkehrsministerium.

Eine Präsidenten-Partei?

Die Umbenennung der UEM zur UMP im April 2002 ist aber aufschlussreich für die leichte Kursänderung. Ursprünglich als Instrument der Neubelebung der rechtsbürgerlichen Opposition konzipiert, wurde sie ausdrücklich zum Präsidenten-Wahlverein umfunktioniert. Dass es Jacques Chirac persönlich war, der die Richtung bestimmte, bewies sein Machtwort am Tag nach dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen. Er drohte nämlich, er werde die Union erzwingen, wenn sie nicht von selbst komme.

Der nächste Schritt zur Errichtung einer Präsidenten-Partei scheint nahe zu liegen. Die Verwandlung der UMP in eine Partei ist für Oktober 2002 angekündigt. Wie weit die konservative Zentrumspartei (UDF) und die Liberalen (DL) künftig ihre Identität bewahren können, bleibt unsicher.

Im Mai kritisierte der Vorsitzende der UDF und aktuelle Minister für Bauwesen, Jean-Louis Borloo, die UMP als „Verkleinerungsmaschinerie“, weil er fürchtete, dass die Vielfalt der Meinungen im konservativen Lager abgewürgt werden könnte.

Erste Anzeichen von Parteidisziplin

Tatsächlich gab es am vergangenen Dienstag bei der Wahl von Edouard Balladur zum Präsidenten des Auswärtigen Parlamentsausschusses erste Anzeichen von Parteidisziplin. Der Gegenkandidat Pierre Lellouche, verkündete, im Interesse der UMP-Fraktion hätte man ihn darum gebeten, seine Kandidatur zurückzuziehen.

Auf die rechtsbürgerlichen Abgeordneten, die außerhalb der UMP-Einheitsliste gewählt wurden, kommt ein weiteres Problem hinzu. Fraglich bleibt, ob sie die finanziell notwendigen Mittel aufbringen können, um jeweils als UDF und Demokratische Liberale (DL) - sprich als unabhängige Parteien - überhaupt weiter bestehen zu können.

Sozialisten trudeln

Auch die Linke bietet derzeit keine standhafte Opposition. Sie hat sich in den letzten Tagen ausschließlich in internen Streitereien um die Neubesetzung der Spitze verwickelt. Noch in der vergangenen Woche hat die frühere Arbeiterministerin Martine Aubry mit ihrem Auszug aus dem Parteivorstand gedroht, wenn Ex-Finanzminister Laurent Fabius zum Parteisprecher ernannt würde. Doch am Samstag schließlich rauften sich die Sozialisten bei ihrem Nationalparteitag zusammen.

Bis zum nächsten Nationalkongress im März 2003 wollen sie nun an einer inhaltlichen Neuorientierung der Partei arbeiten. Ob ein Schwenk nach links vollzogen wird, wie vom Ex- Bildungsminister Jack Lang gefordert, ist nicht vorauszusehen. Eine wichtige Rolle wird dabei die Antwort der linken Opposition auf die Regierungserklärung Raffarins am Mittwoch spielen.

Erinnerung an de Gaulle

Bis zum März 2003 ist also für Chirac das Feld frei. Er hat schon den autoritären Stil seines Mentors Charles de Gaulle angenommen; auch die vollständige Niederlage der Linken erinnert an die Situation anfangs der sechziger Jahre in Frankreich. Dem französischen Staatspräsidenten stehen indes keine politische Hindernisse für die Umsetzung seines Wahlprogramms im Weg. Er wird aber am Ergebnis seiner Arbeit genau geprüft werden.