Mord an Unschuldigen

Alain Rajaonarivony am 26.04.2002

Mindestens 7.500 Kinder unter 5 Jahren und 400 Frauen haben laut humanitärer Organisationen wegen der Straßensperren auf Madagaskar den Tod gefunden. Mängel, Medikamentenknappheit, Verknappung der Versorgung und der Nahrungsmittel, aufgrund der Verknappung des Treibstoffes unmöglich gewordene Dienstreisen für Impfsanitäter etc. Diese verschiedenen Gründe haben dazu geführt, dass die Schwächsten ausradiert wurden. Zahlen, die Entsetzen auslösen sollten !

Obwohl diese Informationen seit einigen Tagen jedoch kursieren, haben sie bis jetzt keine Welle der Empörung ausgelöst. Die Armen verfügen eben nicht über die entsprechenden Mittel, um sich Gehör zu verschaffen. Das bedeutet, dass die fünf Gouverneure trotz des Abkommens von Dakar weiterhin Anhänger der Strategie des Schlimmsten bleiben und sich allmählich von politischen Schauspielern zu Kriminellen verwandeln. Genau wie einst die serbischen Extremisten, die ihre Landsleute als Geiseln entführt hatten, bis die US-amerikanischen Bomben über sie abgeworfen wurden. Auf keinen Fall dürfen diese unschuldigen Opfer des Kampfes um die Demokratie in Vergessenheit geraten, wenn die Zeit eintrifft und u.a. eine statistische Erfassung der Opfer durchgeführt wird.
Didier Ratsiraka bleibt gemütlich in Paris, nach einem Abstecher in Tripoli, während seine Offiziere in den Provinzen auf großem Fuß leben. Von zwei Sachen: Entweder er respektiert seine Unterschrift nicht, in diesem Fall kann ihn die internationale Staatengemeinschaft als einen rechtsverbindlichen Partner nicht mehr betrachten und soll demnach die entsprechenden Maßnahmen ergreifen , oder er beherrscht seine Truppen nicht mehr und für einen Chef ist diese Tatsache sehr bedenklich. Ein Verantwortlicher, dem nicht mehr zugehört wird, ist politisch bereits gestorben. In allen Fällen kann man nicht mehr mit ihm rechnen, um eine Lösung aus der Krise zu finden. Marc Ravalomanana muss deshalb allein zurechtkommen, um das Land zu retten, denn das Abkommen von Dakar ist de facto nicht anwendbar. Er ist zwar sehr weit gegangen, um Frieden zu stiften, aber er muss nun allein alles Mögliche noch tun, um den Tod von weiteren Kindern zu vermeiden wegen Politiker, die auf ihre maffiotische Diäten allein bedacht sind. Aber wie soll man die Logik der bewaffneten Armee, in die Ratsiraka ihn mitreißen will, vereiteln ? Die Wahl dürfte nicht diejenige von Winston Churchill einst sein, nämlich zwischen " Krieg und Unehre ".

Das Oberste Verfassungsgericht hat die Ergebnisse der Stimmenauszählung für Montag anberaumt. Sollten in den nachfolgenden Stunden die Straßen nicht frei werden und schlechte " Gewählte " die Teilung des Landes in ihrer eigenen Region gegen den Willen des Volkes weiterhin preisen, wäre die Lösung die Intervention der internationalen Staatengemeinschaft. Und diese keinesfalls auf eine wortreiche Weise, sondern indem sie auf den Verantwortlichen des Genozides hinweist und diesen streng urteilt, und indem sie auf sehr konkrete Weise der Regierung und der Bevölkerung hilft. Denn wenn Antananarivo dank ihrer außergewöhnlichen Fähigkeit und dank der Unterstützung der Diaspora für sich sehr gute Chancen verbucht, aus ihrer derzeitigen misslichen Lage zu entkommen, sterben weiterhin die Ärmsten in der Stille der Provinzen. Bereits sehr dünn ist die vorhandene medizinische Versorgung. Die Verantwortlichen der zukünftigen " selbständigen " Provinz von Taolagnaro sind eher für ihre Begabung für die Erpressung als für ihre Fürsorge für die Bedürftigen bekannt. In den " autonomen " Zonen von Antsiranana und Toamasina ist es noch schlimmer. Die Bevölkerung lebt in dem Terror, und Menschenjagd und Exekutierung lassen sich nicht mehr erfassen. Während einer Reise, die ich kurz vor der Präsidentschaftswahl mit einer internationalen medizinischen Humanitärorganisation im Süden der Insel machte, konnte ich Folgendes sehr eindeutig feststellen. Von zwölf verantwortlichen Ärzten medizinischer Stationen auf dem Land stammten elf von Antananarivo. Diese waren bei den Dorfbewohnern beliebt und wurden manchmal angefleht, zu bleiben. Das Volk spricht nicht vom Tribalismus (Kampf unter verschiedenen Volksstämmen). Sollten sämtliche Ärzte in ihre Geburtstadt zurückkehren, wäre die Landesbevölkerung vollkommen verwaist. Die Kindertodesrate war eigentlich schon sehr hoch. Heutzutage muss sie eine erschreckende Spitze erreicht haben.

Die französischen Parlamentarier haben am 24. April mit Nachdruck verlangt, dass Frankreich die Entsperrung der Straßen dem Abkommen von Dakar entsprechend unterstützt, um diesem stillen Genozid ein Ende zu setzen.

Nach der Hoffnung, die die feierliche Unterzeichnung des Abkommens mit sich brachte, bleibt vielleicht noch das Schlimmste zu erwarten, es sein denn, dass Didier Ratsiraka seine Verantwortung, wie es sich einem Staatsoberhaupt geziemt, endlich übernimmt. Für ihn ist die Stunde der Wahrheit gekommen !

Übersetzung: Sarah Heydenreich