Es herrscht die Familie

Der Streit um die Macht in Madagaskar ist einer um Pfründe

Süddeutsche Zeitung 11.06.2002

Demokratie wird allgemein als Herrschaft des Volkes definiert. In Afrika aber bedeutet Demokratie – zumindest für viele Staatschefs – Herrschaft der Familie. In Kenia, Mosambik, Angola, Simbabwe, Togo oder auch auf Madagaskar sorgten die Herrscher meist schon kurz nach ihrem Amtsantritt dafür, dass zunächst einmal die Verwandten gut versorgt wurden, allen voran die Söhne und Töchter. In all diesen Ländern besitzen die Präsidentensprösslinge ganze Wirtschaftszweige oder zumindest wichtige Firmen. Und damit den Nachkommen nichts mehr weggenommen wird, müssen die Väter so lange wie möglich an der Macht bleiben – und sei es mit Gewalt.

Das jüngste Beispiel einer solchen Familienherrschaft ist auf Madagaskar zu beobachten. Dort standen im vergangenen Dezember Wahlen an. Präsident Didier Ratsiraka, so berichten es Menschen, die mit dessen Familienverhältnissen gut vertraut sind, wollte nach mehr als 20 Jahren Herrschaft nicht noch einmal antreten, und schon gar nicht gegen den populären Bürgermeister der Hauptstadt Antananarivo, Marc Ravalomanana. Ratsiraka war amtsmüde, doch seine Familie drängte ihn zur Kandidatur, allen voran seine Tochter Sophie, die viele Ländereien und Firmen auf Madagaskar besitzt. Ihr Vater verlor, doch weigert er sich bis heute, das Ergebnis anzuerkennen. Und das trotz wochenlanger Massenproteste, trotz neuerlicher Stimmauszählung, die das Resultat bestätigte, und trotz des eskalierenden Bürgerkriegs, der schon mehr als 60 Menschen das Leben gekostet hat.

Alle Brücken abgebrochen

Ratsiraka hat sich in seinem Heimatort Toamasina verschanzt und diesen zur neuen Hauptstadt Madagaskars ausgerufen, er hat eine Gegenregierung ernannt und wichtige Brücken und Straßen durch loyale Milizen zerstören oder sperren lassen. Seitdem gibt es zwei Präsidenten, zwei Regierungen, zwei Hauptstädte – und keine Aussicht auf ein friedliches Ende dieser Farce. Denn auch ein weiterer Vermittlungsversuch in der senegalesischen Hauptstadt Dakar ging am Wochenende ohne Ergebnis zu Ende.

Für die Bewohner der Insel im Südosten Afrikas ist diese Situation eine Katastrophe. Seit Wochen sind die Lebensmittel knapp, es gibt fast kein Benzin und keinen Dieselkraftstoff mehr und außerdem ist die Vanille-Ernte stark gefährdet, die jährlich 200 Millionen US-Dollar bringt. Madagaskar, eines der ärmsten Länder der Welt, deckt rund zwei Drittel des internationalen Bedarfs an dem Gewürz, doch der wichtigste Exporthafen ist seit Tagen zwischen den verfeindeten Lagern umkämpft.

Sollte es keine schnelle und vor allem friedliche Lösung geben, wird das auch enorme Auswirkungen auf den Kontinent haben. Denn derzeit versuchen die Staatschefs aus Südafrika, Nigeria, Ägypten und Senegal, die Welt zu einem ehrgeizigen Hilfsplan zu überreden. Beim nächsten G-8-Gipfel sollen die Industrienationen davon überzeugt werden, Afrika jährlich mit 63Milliarden US-Dollar zu unterstützen, damit es mit dem geschundenen Kontinent endlich bergauf geht. Im Gegenzug versprechen die Afrikaner demokratische Regierungen, die Achtung der Menschenrechte, liberale Wirtschaftsgesetze und einen verstärkten Kampf gegen die Korruption.

Wie weit es damit her ist, zeigte sich am Wochenende, als in Senegal fünf afrikanische Staatschefs versuchten, die störrischen Präsidenten von Madagaskar zu einer Einigung zu überreden. Nur einer von den fünf Präsidenten, Senegals Abdoulaye Wade, ist durch eine unumstrittene Wahl an die Macht gekommen.

MichaelBitala