Stellungnahme des Vorstandes des CGM zur aktuellen Lage in Madagaskar

Vorbemerkung

Diese Stellungnahme ist parteiisch. Die Unterzeichner dieser Zeilen betrachten es nicht nur als ihr Recht sondern auch als ihre Pflicht als deutsche und madagassische Bürger, Partei zu ergreifen für die demokratischen Kräfte Madagaskars und gegen Diktatur und Terrorismus. Die demokratisch gesinnten Madagassen fühlen sich von der OUA und der EU einschliesslich der Bundesrepublik im Stich gelassen. Die überwältigende Mehrheit der in Madagaskar lebenden Europäer teilt diese Einschätzung.

Die Lage ist dramatisch. Madagaskar steht am Rande des Bürgerkrieges, weite Teile des Landes einschliesslich der Hauptstadt sind von der Versorgung (Treibstoff, Medikamente, Grundnahrungsmittel etc.) abgeschnitten, in ein bis zwei Wochen werden laut Vorhersage der Botschaft die Lichter ausgehen und die Infrastrukturen (Elektrizität, Transport, Telekommunikation etc.) zusammenbrechen. Viele Wirtschaftssektoren stehen vor dem Ruin oder sind bereits runiert.

Die Lage:
Am 16.12.01 fanden Präsidenschaftswahlen statt. Von sechs Kandidaten hatten nur zwei Kandidaten reelle Chancen :

Didier Ratsiraka :

  • Scheidender Präsident, selbsternannter Admiral, seit 1975 nach der Ermordung seines Vorgängers seit über fünfundzwanzig Jahren mit kurzer Unterbrechung an der Macht ;
  • führte als persönlicher Spezi von Kimg Il Sung den Stalinismus in Madagaskar ein und ernannte sich zum " Herausragenden Führer des Madagassischen Volkes " ;
  • systematische Ausbeutung des Landes unter seiner Kleptokratenclique ;
  • nach dem Staatsbankrott ab Mitte der achtziger Jahre Annäherung ans westliche Lage, " priviligierte Beziehungen " zu Frankreich ; neue " ökologisch humanistische " Verfassung, um in den Genuss der Kredite der westlichen Geber zu kommen.

Marc Ravalomanana :

  • Smarter self-made Mann, hat es vom ambulanten Joghurtverkäufer zum Besitzer des grössten Lebensmittelkonzerns Madagaskars gebracht ;
  • seit 1999 Bürgermeister der Hauptstadt mit sichtlichen Erfolgen bei der Verbesserung der Infrastrukturen ;
  • praktizierender Christ und Vorsitzender der Laienvereinigung der protestantischen Kirche, hat die Unterstützung der grossen christlichen Kirchen Madagaskars ;
  • Anhänger strikter Gewaltlosigkeit ;
  • zurückhaltend gegenüber Frankophonie und Frankophilie, räumt Frankreich keine Sonderstellung ein und strebt " normale " Beziehungen unter Hinweis auf die anderen europäischen Ländern an.

Nach langem Zögern hat das (unter Verstoss gegen die Verfassung s.u.) von Ratsiraka nominierte Verfassungsgericht im Janaur 2002 das Wahlergebnis verkündet: Ravalomanana 46%, Ratsiraka 42%. Das Gericht lehnte die Forderung Ravalomananas ab, die von seinen Anhängern eingesammelten Auszählungs-protokolle mit denen des Innenministeriums abzugleichen. Ebenso wurde die Forderung abgeschmettert, die Ergebnisse der einzelnen Wahllokale aufzulisten. Die zahlreichen Beweise unabhängiger Beobachter (u.a. von der Bundesrepublik finanziert) für massive Wahlfälschungen zugunsten Ratisarakas wurden nicht anerkannt. Das Verfassungsgericht weigerte sich gleichzeitig, Ratsiraka von der Wahl zu disqualifizieren trotz des Nachweises massivster Verstöße gegen das Wahlgesetz (u.a. Missbrauch der Staatsmedien und öffentlicher Infrastrukturen für den eigenen Wahlkampf).

Nach Auszählung der Ravalomanana vorliegenden Auszählungsprotokolle und denen der unabhängigen Wahlbeobachter hatte die Opposition jedoch mit über 51% die absolute Mehrheit erreicht. Der Generalstreik wurde ausgerufen. Wochenlang demonstrierten daraufhin in der Hauptstadt täglich Hunderttausende absolut friedlich und gewaltlos gegen die Wahlmanipulationen, gegen die angeordnete Stichwahl und für die Anerkennung des Wahlsieges Ravalomananas im ersten Wahlgang. Diese Szenen berührten gerade die Deutschen besonders, sind doch die Parallelen zu den Montagsdemonstrationen in Leipzig und dem Fall der Mauer offensichtlich. Auch den Madagassen ist dies bewusst, und wir Deutsche werden häufig mit der peinlichen Frage konfrontiert, " warum die Demokratiebewegung Madagaskars von der deutschen Regierung so wenig Unterstützung erhält und warum Deutschland die skandalösen Urteile des Verfassungsgerichts anerkennt hat und somit den Diktator Ratsiraka stützt ".

Unter dem Druck seiner demonstrierenden Anhänger und unter dem Jubel der begeisterten Bevölkerung der Hauptstadt ernannte sich Ravalomanana schliesslich am 22.2.02 selbst zum gewählten Präsidenten Madagaskars. OUA und EU unter der Federführung Frankreichs zogen sich auf eine formal-legalistische Position zurück, erkannten nur die " offiziellen " Wahlergebnisse an, verurteilten die Selbsternennung Ravalomananas zum Präsidenten und forderten einen zweiten Wahlgang. Daraufhin protestierten hunderte von Franzosen vor ihrer Botschaft gegen die Haltung ihrer Regierung und der EU. Sie forderten die sofortige Anerkennung Ravalomananas. Die Mehreit der in Antananarivo ansässigen Deutschen richtete im gleichen Sinne einen namentlich unterzeichneten Aufruf an Bundestag, Bundesregierung und EU.

Ratsiarka reagierte mit der Ausrufung des Kriegsrechts in der Hauptstadt, das von der Bevölkerung und den Militärs nach dem Motto " es ist Krieg aber keiner geht hin " schlicht ignoriert wurde. Das Militär verhält sich weitgehend neutral und greift in dem Konflikt nicht ein. Keiner möchte als Henker am eigenen Volk in die Geschichte eingehen. Die Bevölkerung schützte " ihren " neuen Präsidenten mit Leib und Leben gegen die vorgesehene Festnahme und vertrieb die alte Regierung friedlich aus den Ministerien, um die neue Regierung einzusetzen. Ratsiraka und seine Regierung fand keinerlei Unterstützung mehr in der Hauptstadt und setzte sich in die Provinzhauptstadt Tamatave ab.

In vier der sechs Provinzen Madagaskars herrschen mit eiserner Faust die von Ratsiraka eingesetzten Gouverneure. Fast alle Provinzhauptstädte haben mehrheitlich für Ravalomanana gestimmt, seine Anhänger wagen es jedoch nicht, sich öffentlich zu äussern. Von Ratsiraka eingesetzte und bewaffnete Milizen terrorisieren in vielen Provinzorten Oppositionelle und Journalisten. Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen selbst von Abgeordneten, Folterungen und Morden. In einigen Provinzen wurde der Verkauf aller Tageszeitungen der Hauptstadt verboten, da die freien Medien ausnahmslos die Demokratiebewegung stützen. Offensichtlich hat sich in Ratsirakas Partei AREMA die alte stalinistische Betonfraktion durchsetzen können. Die jungen, gemässigten Kräfte halten sich mit Kritik allerdings zurück, da sie Repressalien befürchten. Ein AREMA-Abgeordneter, der sich für Ravalomanana ausgesprochen hat, wurde von Milizen misshandelt und inhaftiert.

Ratsiraka reagierte auf die Präsidentschaft Ravalomananas mit der Blockade der Provinzen Antananarivo und Fianarantsoa. Auf seinen Befehl wurden die Haupt-verkehrsadern durch Barrikaden blockiert, Terroristen sprengten eine Reihe von Brücken, so dass die beiden Provinzen von den Häfen abgeschnitten sind. Treibstoff ist nur noch auf dem Schwarzmarkt zu aberwitzigen Preisen erhältlich, mangels Medikamenten ist die medizinische Versorgung nicht mehr gesichert, die Preise für Grundnahrungsmittel explodieren. Im- und Export sind unmöglich. Die Provinz Antananarivo erwirtschaftet 70% des Bruttosozialproduktes des Landes. Die Folgen für die Wirtschaft sind unabsehbar. Ratsiraka und seine Kleptokraten bereichern sich an den Barrikaden durch " Wegzölle ". Ratsiraka hat sein eigenes Volk zur Geisel genommen. Nach internationalem Recht ist allein dies ein " Verbrechen gegen die Menschlichkeit ", da ein Teil der Bevölkerung vorsätzlich und als politisches Druckmittel von der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern abgeschnitten wird. OUA und EU haben zwar erfolglos die Beendigung der Blockade gefordert, lehnen es jedoch ab, die Verbrechen der Milizen und das Terrorregime Ratsirakas eindeutig zu verurteilen. Gleichzeitig verweigern sie die Anerkennung der Regierung Ravalomanana. OUA und EU fordern Verhandlungen zwischen den Kontrahenden.

Die Bevölkerung der Hauptstadt ist in ihrem Durchhaltewillen ungebrochen. Das Kalkül Ratsirakas, die Stimmung werde sich in Folge der schwierigen wirtschaftlichen Lage gegen Ravalomanana wenden, ist nicht aufgegangen. Die Bevölkerung ist offensichtlich bereit, für ihren Kampf um Demokratie grosse Opfer zu bringen. " Lieber sterben als weiter unter Ratsiraka leben " ist zwar ein pathetischer, aber häufig gehörter Satz in den letzten Wochen. Ravalomana folgt unbeirrbar seinem Prinzip der Gewaltlosigkeit. Er hat mittlerweile Schritte unternommen, um seine Regierung in die Legalität zu führen. Seiner Klage beim Verwaltungsgerichtshof, die Nominierung der Richter des Verfassungsgerichtshofes zu annulieren, wurde stattgegeben, da die Nominierung zweier Richter nicht rechtens war. Sie waren nicht vom Senat gewählt sondern von Ratsiraka ernannt worden. Damit haben alle Urteile des Verfassungsgerichtes einschliesslich der Proklamation der " offiziellen " Wahlergebnisse ihre Rechtskraft verloren. Der Verwaltungsgerichtshof hat gleichzeitig das Verfassungsgericht in seiner alten Besetzung wieder eingesetzt.

Auf der diplomatischen Bühne versucht die OUA als Mittler aufzutreten. Am Rande der letzten Konferenz in Dakar, an der sowohl Ravalomanana als auch Ratsiraka teilnahmen, wurde zwischen den beiden Kontrahenden ein Abkommen ausgehandelt.

Die wesentlichen Punkte :

  1. sofortige Aufhebung der Blockaden ;
  2. Beendigung der Terrorakte und der Verfolgung der Anhänger Ravalomananas durch Ratsiraka ;
  3. Erneute Stimmauszählung durch das Verfassungsgericht unter Beteiligung beider Parteien;
  4. Im Falle eines nicht eindeutigen Wahlergebnisses Bildung einer Übergangsregierung unter Beteiligung beider Parteien ;
  5. Die Übergangsregierung organisiert ein Referendum innerhalb von sechs Monaten, um eine definitve Wahl zwischen beiden Kandidaten zu treffen.

Die erneute Auszählung fand am 29.4.02 letzten Woche statt . Das Ergebnis : Ravalomanana 51%, Ratsiraka 36% wurde vom Verfassungsgerichtshof offiziell verkündet. Damit ist Ravalomanana auch legal der neue Präsident Madagaskars Seine erneute und jetzt legale Investitur fand am 6.5.02 statt. Das einzige Land, das die Regierung Ravalomanana bisher rückhaltlos anerkannt hat, ist die Schweiz. EU und die USA hielten sich zurück und waren während der Feierlichkeiten nicht durch die Botschafter, sondern durch untergeordnete Diplomaten vertreten. Den Unterzeichnern ist dieses Verhalten unverständlich.

Ratsiraka respektierte das Abkommen nicht. Er weigert sich das Ergebnis der erneuten Stimmauszählung anzuerkennen. Er liess die Blockaden verstärken und weitere Brücken in die Luft sprengen. Zum Zeitpunkt der Berichtsabfassung hat sich die Lage weiter verschärft.

Ein langjähriger dem CGM / Goethe-Zentrum Antananarivo verbundener Partner, Autor und Kulturschaffender, hat unlängst seinem Unverständnis, seiner Enttäuschung und seiner Verbitterung über die Haltung der OUA, der EU und der Bundesrepublik Ausdruck verliehen. Seine Äusserung ist representativ für die Intellektuellen und weite Teile der Bevölkerung : " Warum erkennen diese Länder (OUA, EU) die neue, demokratische Regierung Madagaskars nicht an? Der Sohn des afrikanischen Massenmörders Kabila wurde als selbsterrnannter " Erbpräsident " nach der Ermordung seines Vaters unverzüglich als Staatsgast in Frankreich empfangen. Nach den Präsidentschaftswahlen in Jugoslawien ernannte sich der jugoslawische Oppositionskandidat Kostunica selbst zum Präsidenten, trotz der Weigerung des obersten Gerichtshof seine Wahl anzuerkennen. Die EU hat ihn sofort anerkannt. Warum erkennt die EU nicht unseren neuen Präsidenten an? Er hat die Wahl gegen einen abgewirtschafteten Diktator gewonnen, der durch Betrug, Terror und Gewalt seine Macht verteidigt. Europa hat seine Glaubwürdigkeit in Frage gestellt, da es mit zweierlei Mass misst. Ich habe den Eindruck, dass uns Deutschland im Stich lässt und Madagaskar den Interessen Frankreichs opfert. Frankreich lehnt Ravalomanana offensichtlich ab, da er nicht bereit ist, mit dem alten Kolonialherren weiterhin " priviligierte Beziehungen " zu pflegen. Ebenso scheint Frankreich in der Madagaskarfrage die EU zu dominieren. Dass Frankreich im Umgang mit den ehemaligen Kolonien nichts hinzugelernt hat, ist nichts Neues. Von Deutschland haben wir allerdings mehr erwartet. Wir sind zutiefst enttäuscht"

Angesichts dieser verfahrenen und dramatischen Situation bleibt uns nur die Hoffnung auf einen alten, in den letzten Wochen viel beschworenen Wert der madagassischen Kultur und Gesellschaft. " Fihavanana " lässt sich am besten als " Eintracht ", "gesellschaftliche Harmonie " oder " Ausgleich " umschreiben. Es ist das tief verwurzelte Bedürfnis um sozialen Frieden und freundschaftliches Miteinander. Bei einer ähnlichen, weniger schwerwiegenden Krise anfang der neunziger Jahre konnten sich diese Werte durchsetzen. Aber das erfordert viele Diskussionen und viel Zeit…

Auswirkungen auf die Arbeit des CGM :
Während der wochenlangen täglichen Demonstrationen musste der CGM im Februar / März 2002 seine Tätigkeit aus Sicherheitsgründen einschränken bzw. einstellen. Seit Ende April arbeitet er wieder normal. Einschränkungen sind bei entsandten Veranstaltungen abzusehen, da das Auswärige Amt für Madagaskar eine Reisewarnung veröffentlicht hat.

In der Vorstandssitzung vom 7.5.2002 einstimmig verabschiedet

Gezeichnet:
Samy Ralijaona (1.Vorsitznder)

Sylvia Brandt (2.Vorsitzende)

Saholymaniraka (Generalsekretärin)

Wolfram Zehrer (Tresorier)

Eckehart Olszowski (Geschäftsführer)

Dr.Baovola Radanielina (Leiterin der Sprachabteilung)

Henri Randrianierenina (Beisitzer)

Solange Andriambelona (Beisitzer)